Von Luft und der Liebe zu Saiten (leben)
Instrumentierung in der Volksmusik rund um den Alpstein
Seit Jahrhunderten prägen Streich- und andere Saiteninstrumente die Volksmusik rund um den Alpstein wie sonst kaum irgendwo in der Schweiz. Mittlerweile halten aber auch immer mehr mit Luft erzeugte Klänge Einzug.
Die Instrumentierung in der Volksmusik war seit je von Modeströmungen, technischen Möglichkeiten und Einflüssen aus Ost und West abhängig. So auch in der Alpsteinregion. Im Appenzellerland haben sich die Saiteninstrumente, die einst in der gesamten Schweizer Volksmusik vorkamen, besonders gut gehalten.
Das liegt nebst hohem Traditionsbewusstsein und der Weitergabe der Instrumente innerhalb der musizierenden Familien auch an der Entwicklung des Hackbretts und der Etablierung der fünfköpfigen sogenannten «Original Appenzeller Streichmusik» um 1900.
Saiten
Gestrichen, gezupft und geschlagen: Die für die Alpsteinregion typischen Saitenklänge erfordern von den Musizierenden ein feines Gehör und oft auch viel Zeit zum Stimmen der Instrumente.
Streichmusik
Im 20. Jahrhundert zunehmend aus der Schweizer Volksmusik verdrängt, prägen Saitenklänge die Volksmusik der Alpsteinregion bis heute.
Über die Instrumentierung der Volksmusik in der Renaissance- und in der Barockzeit ist nur wenig bekannt. Neue, verbesserte Instrumente, die musikalisch mehr Möglichkeiten boten, wurden aber vermutlich auch im Alpsteingebiet rasch eingeführt. In der hiesigen Tanzmusik setzte sich spätestens im 19. Jahrhundert die «altfrentsche Besetzung», eine Dreierformation mit Geige, Hackbrett und Bass bzw. Cello, durch. Um 1900 begann sich die auf fünf Personen erweiterte Besetzung, die «Original
Appenzeller Streichmusik» mit zwei Geigen, Hackbrett, Cello und Bass zu etablieren.
Die oftmals melancholische Melodik der Appenzeller und Toggenburger Volksmusik hat ihren Ursprung vermutlich in den Moll-Tonarten der Kirchenmusik. Denn nicht selten waren die Tanzmusikanten gerade im katholischen Appenzell Innerrhoden auch Kirchenmusiker.
Ein Zäuerli mit Streichinstrumenten oder ein Rugguusseli mit der Zither: Eine Eigenart der Appenzeller und Toggenburger Volksmusik sind die rein instrumental intonierten Naturjodel. Streichmusikstücke
können aber auch – zum Beispiel bei Wiederholungen – gesungene Parts enthalten. Hier mehr zum Thema Naturjodel und Naturtöne erfahren.
Hackbrett
Einst von der Obrigkeit als Lumpeninstrument verpönt, heute fester Bestandteil der traditionellen Appenzeller Volksmusik: Das Hackbrett fasziniert die Menschen seit Jahrhunderten.
Kommen die Vorgängerinstrumente des heutigen Hackbretts aus dem Byzantinischen Reich oder doch eher von Nordafrika über Andalusien nach Appenzell? Der Weg der alten Instrumente konnte nie lückenlos belegt werden. Sicher ist aber, dass diese in Europa bereits im 14. Jahrhundert eine erste Blütezeit erlebten.
In den Appenzeller Archivquellen taucht das Hackbrett erstmals im Jahr 1567 auf, auch hier wie andernorts in der Schweiz aufgrund eines Verbots.
Eines der ältesten noch erhaltenen Hackbretter der Schweiz befindet sich im Roothuus Gonten; es dürfte aus dem 17. Jahrhundert stammen. In zwei Gegenden der Schweiz ist das Hackbrett nach wie vor beliebt: Im Wallis und in der Alpsteinregion wird das diatonische Hackbrett gespielt. Und in Bayern und Salzburg ist das chromatische Hackbrett kaum mehr aus der Volksmusik wegzudenken.
© Landesarchiv Appenzell Innerrhoden
Im Appenzellerland taucht das Hackbrett erstmals in historischen Quellen aus dem 16. Jahrhundert auf. Gemäss der Innerrhoder Landesrechnung von 1567 der Landläufer damals einen Lohn dafür, «um dz er der hackbreteren ussem landt hat batto» (dafür, dass er die Hackbrettler aus dem Land «gebeten» oder besser: «geworfen» hat).
Das Appenzeller Hackbrett besteht meist aus einem trapezförmigen Holzresonanzkörper, der auf drei Füssen steht. Über den Klangkörper sind mehrere Dutzend in Fünfergruppen (Chöre) angeordnete Saiten gespannt, die jeweils über einen nicht mittig positionierten Holzsteg verlaufen, womit sich links und rechts des Stegs ein anderer Ton ergibt. Die Chöre sind teilweise chromatisch und teilweise diatonisch angeordnet. Diese Hackbrettstimmung ist vom häufigen
Zusammenspiel gebräuchlicher Tonarten mit Streichern bestimmt. Dadurch liegen die Akkorde meistens nahe beieinander, was das Spiel erleichtert.
Im Appenzellerland gibt es noch zwei Hackbrettbauer: Johannes Fuchs in Appenzell und Werner Alder in Herisau. Die Fertigung eines Instruments dauert rund 80 Stunden, je nach Wünschen der Auftraggebenden.
Stimmen und Stimmungen
Damit eine «Original Appenzeller Streichmusik» ihren unvergleichlichen Klangkörper entfalten kann, gilt es die fünf Instrumente und insgesamt zwischen 141 und 152 Saiten zu stimmen – je nach Bauweise des Hackbretts.
Tonangebend in einer Streichmusik in der Originalbesetzung ist die erste Geige. Der «Vorgiiger» oder die «Vorgiigerin» muss nebst spielerischem Können auch über ein grosses Melodienrepertoire und ein gutes Gespür für die Dramaturgie eines Tanzabends verfügen, damit der Wechsel zwischen zwischen «zögig» und «schlääzig», zwischen «Dur» und «Moll» gelingt. Die zweite Geige «sekundiert» die Hauptmelodie oft mit Terzen und Sexten. Das Hackbrett – das eigentümlichste Instrument des Quintetts – untermalt
den Klang mit Akkorden oder zusätzlichen Melodieläufen und übernimmt ebenso rhythmische Aufgaben. Das Cello begleitet mit doppelt gegriffenen Nachschlägen, also den unbetonten Taktteilen, und stellt mit kurzen Melodiebogen Verbindungen zu den anderen Instrumenten her. Den Klangboden bildet der Streichbass, in der Regel ein einfacherWechselbass, der die Takte betont. So entsteht das einzigartige Klanggebilde einer «Original Streichmusik».
Klangbeispiele
Zwar sind einzelne Stücke für Soloinstrumente komponiert worden (besonders für das Hackbrett), aber jedes Instrument für sich allein ergibt noch keinen angenehmen Klang. Dieser entsteht erst im Zusammenspiel mehrerer Instrumente.
In den älteren Notenschriften ist fast immer nur die Melodiestimme notiert, die Begleitungen wurden "nach Gehör" während des Spiels ergänzt. Die Instrumentalisten müssen sich gut an das melodieführende Instrument anpassen und sich diesem unterordnen, es begleiten und unterstützen. Für den je nachdem lüpfigen oder tragenden Rhythmus der Appenzellermusik sind Bass, Cello und Hackbrett entscheidend. Sie bestimmen den charakteristischen "Zick" dieses Musikstils und geben dem Stück den "Boden". Den "Zick" kann man nicht lernen, man muss ihn erfühlen.
Geige
Akkordeon
Hackbrett
Bass
Die Kapelle Echo vom Säntis spielt den Walzer "Säntis hell" von Erwin Sager.
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Luft
Akkordeon, Hausorgel und Bläser: Nebst den traditionellen Saitenklängen haben sich mittlerweile auch mit Luft erzeugte Töne in der Volksmusik rund um den Alpstein etabliert.
Hausorgel
Eine volksmusikalische Eigenheit der Region ist die Toggenburger Hausorgel. Leicht verändert gibt es sie auch im Appenzellerland.
Zwischen 1754 bis 1821 wurden in Toggenburger Privathaushalten über 150 Hausorgeln eingebaut. Nachdem in Folge der Reformation das kirchliche Orgelspiel abgeschafft wurde, entwickelte sich zunächst im Elsass und später auch im Zürichbiet eine Haus-, Zimmer- und Stubenorgelkultur. In diesen Regionen handelte es sich in der Regel um freistehende und transportierbare Instrumente. Im Gegensatz dazu sind die Hausorgeln rund um den Alpstein in die Häuser eingebaut und oft mit Malerei und Schnitzerei im Rokokostil verziert.
Toggenburger Frauen brachten die Hausorgel oft als Mitgift mit in die Ehe und spielten sie auch, etwa in der Hausmusik oder an pietistisch geprägten Hausandachten. Da die Hausorgeln aufgrund beschränkter Platzverhältnisse kompakt gebaut wurden, sind ihre Klangmöglichkeiten gegenüber den Kirchenorgeln stark eingeschränkt. Ihr Tonumfang ergibt sich bei bloss einem Manual ausschliesslich aus der Registrierung, womit dennoch ein eindrückliches Klangspektrum möglich ist. Die Hausorgeln im Appenzellerland unterscheiden sich von jenen im Toggenburg dadurch, dass die Register nicht mit Zügen, sondern mit Hebeln bedient werden.
Toggenburger Hausorgel im Roothuus Gonten
Akkordeon
Einst verpönt, heute eine Selbstverständlichkeit: Akkordeon und Schwyzerörgeli sind spätestens seit den 1960er-Jahren auch in der Alpsteinregion vermehrt zu hören.
Handorgeln sind im Appenzellerland erstmals bereits im 19. Jahrhundert und nicht, wie häufig erzählt, erst im 20. Jahrhundert erwähnt. Bei einigen war das Akkordeon allerdings verpönt. Wohl nimmt das Instrument aufgrund seiner natürlichen Lautstärke einen gewissen Raum ein, was beim Publikum aber je länger je besser ankam. Es gab eine Zeit, da galt die Akkordeonmusik als rhythmischer und «tänziger».
Auch wenn es Akkordeon und Schwyzerörgeli nicht in die «Appenzeller Originalbesetzung» geschafft haben, erfreuen sie sich heute – gerade auch bei jungen Leuten – grosser Beliebtheit. Mit diesen Instrumenten lässt sich zudem beliebte Volksmusik aus anderen Landesteilen der Schweiz interpretieren.
Hörstation
Akkordeon-
Musik
Hörstation
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Marsch «Hundwil - Appenzell» von Jakob Alder,
Alpsteebuebe und Brandhölzler Striichmusig
Originale
Streichmusik
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Marsch «Hundwil - Appenzell» von Jakob Alder,
Alpsteebuebe und Brandhölzler Striichmusig
Früher wurde die traditionelle Volksmusik von den Vätern an die Söhne weitergegeben. Mittlerweile spielen auch viele Mädchen und Frauen Volksmusik. Zudem ergab sich mit der Gründung von Musikschulen die Möglichkeit, von professionellen Lehrpersonen unterrichtet zu werden, die eventuell nicht mehr der traditionellen Musik entstammen.
Seit über zehn Jahren bietet die Hochschule Luzern ein eigenes Volksmusik-Bachelorstudium sowie zwei CAS-Diplomlehrgänge an. Im Bachelorstudium kann als Hauptfach unter anderem Akkordeon, Schwyzerörgeli, Hackbrett oder Jodel gewählt werden.
Blasmusik
Die Blasmusik verbreitete sich in der Appenzeller und Toggenburger Volksmusik relativ spät. Ein regionales Unikum ist der “Stegräf”.
Blasinstrumente haben die Volkmusik im deutschsprachigen Raum – vielleicht auch aufgrund ihrer Lautstärke – schon früh dominiert. Im 19., vor allem aber im 20. Jahrhundert hielten sie auch Einzug in die Musik rund um den Alpstein. Die Fünfer- und Siebnerbesetzungen von Blas- und Bauernkapellen gibt es auch in anderen Regionen der Schweiz. Eine regionale Spezialität ist der sogenannte Stegräf (oder Stegreif), der ohne
Noten gespielt wird und bei dem einzig die Hauptmelodie vorgegeben ist. Meist angeführt von Trompete oder Cornett, seltener von der Klarinette oder dem Horn, folgen die anderen sechs bis fünfzehn Instrumente der vorgegebenen Melodie im freien Spiel – eben aus dem Stegreif. Die auf diese Weise rein instrumental gespielten Appenzeller und Toggenburger Naturjodel sind schweizweit einzigartig.
Stationen
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